01.10.2020 von Svetlana Geyrhofer, BA.

In Österreich gibt es drei Berufsgruppen in der Pflege: die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP), die Pflegefachassistentin (PFA) und die Pflegeassistentin (PA). Bis 1997 war Pflege gesetzlich noch ein Beruf, der sich hauptsächlich um die Pflege bei Erkrankungen aller Art sowie die Hilfeleistung bei ärztlichen Verrichtungen gekümmert hat. Der Begriff Gesundheitspflege war im Berufsalltag faktisch kein Thema (siehe Krankenpflegegesetz 1961, online abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10010302 ).

Mit September 1997 trat das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz in Kraft, und hat das Krankenpflegegesetz abgelöst. Damit wurde die bedeutendere Stellung der Pflege im Gesundheitswesen neu formuliert und die Ausbildung an die gestiegenen Anforderungen angepasst. Ab nun liegt der Schwerpunkt in der Gesundheitsförderung, Prävention, Prophylaxe sowie Ressourcenorientierung von Menschen aller Altersstufen. Insbesondere wird hier ausdrücklich die Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit, Unterstützung des Heilungsprozesses sowie die Bewältigung von gesundheitlicher Beeinträchtigung festgeschrieben. Dabei sind wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. (siehe § 12 GuKG, online unter:   https://www.ris.bka.gv.at/NormDokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011026&Artikel=&Paragraf=12&Anlage=&Uebergangsrecht= )

Die Tätigkeiten der DGKP haben sich gewandelt und sind erweitert worden. Die Wandlung erfolgt von einem ärztlichen Hilfsberuf zu einer eigenständigen Berufstätigkeit mit therapeutischem Ansatz. Die im § 14 aufgelisteten pflegerischen Kernkompetenzen sind online unter: https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/i/1997/108/P14/NOR40185023  abrufbar.

Körperpflege ist nicht nur „Waschen“, sondern ist ein Teil der aktivierenden Pflegetherapie![1]

Seit dieser Zeit wird im Sinne des Pflegeprozesses die professionelle Gesundheits- und Krankenpflege umgesetzt. Es handelt sich um eine systematische Arbeitsmethode zur Erfassung, Planung, Durchführung und Evaluierung pflegerischer Interventionen bzw. Maßnahmen. Diese, auch Pflegeregelkreis genannte Methode, basiert auf der Annahme, dass Pflege ein dynamischer Problemlösungs- und Beziehungsprozess ist. Mit dieser Arbeitsmethode wird angestrebt, dass Pflegehandlungen individuell an die jeweilige Situation der kranken und alten Menschen angepasst werden. Pflegemaßnahmen werden somit nicht mehr nach Uhrzeit und Organisationsvorgaben ritualisiert – hier seien beispielhaft die morgendlichen Waschrundgänge zu erwähnen – sondern bedürfnisorientiert und individuell ausgeführt,

Die Pflegetätigkeiten beschränken sich nicht nur darauf, zum Beispiel einen kranken und alten Menschen das Essen und Trinken zu verbreichen und ihn zu waschen, wie leider häufig in der Bevölkerung geglaubt wird. Diese verklärten Vorstellungen des Pflegeberufs führen dazu, zu meinen, für die Pflege sei doch jede geeignet, die nur ein wenig Herz hätte. Die Diskussionen, ob es für das Waschen tatsächlich ein Studium braucht, macht einen als Profi in der Gesundheits- und Krankenpflege sprachlos.

Die Arbeitsmethode „Pflegeprozess“ ist in der Praxis immer noch lückenhaft!

Das Ausführen von Pflegetätigkeiten ist grundsätzlich an Pflegediagnosen geknüpft, und es wird die jeweilige Situation der pflegebedürftigen Person im Pflegeplan beschrieben. Gehäuft wird aus „scheinbar“ ökonomischen Gründen, und des „noch“ fehlendem wissenschaftlich belegten Wissens ohne Verknüpfung des Erfahrungswissens zu wenig auf die individuelle Situation des Gepflegten eingegangen. Hinzu kommt, dass es auch in der eigenen Berufsgruppe Vertreter/innen gibt, die den therapeutischen[2] Ansätzen in der Pflege kaum Bedeutung beimessen.

Aus diesen Gründen wird unreflektiert postuliert, dass sich die DGKP mit pflegewissenschaftlicher Ausbildung „nur noch“ mit Dokumentation beschäftigt und somit nicht mehr bei den Patientinnen arbeitet. Dabei wird übersehen, dass in der Regel eine Pflegeprozessdokumentation erst möglich ist, wenn mit den Patientinnen gemeinsam ihre Situation besprochen wird, eine Pflegediagnose gestellt und die Maßnahmen gemeinsam entschieden wurden. Aus diesem Blickwinkel ist die berechtigte Frage zu stellen, ob die tatsächlichen Bedürfnisse der gepflegten Person in der Dokumentation aufscheinen.

Die Pflegeausbildung muss sich auf dem aktuellen (pflege)wissenschaftlichen Erkenntnistand beziehen. Problematisch ist der Zustand, wenn Studierende in der fachpraktischen Ausbildung die Systematisierung des pflegerischen Handelns durch den Pflegeprozess zu gering erfahren. Hier spielt das Prinzip der Situationsorientierung eine große Rolle.

Pflegehandlungen werden individualisiert und nicht ritualisiert durchgeführt!

Um eine Pflegehandlung durchzuführen, bedarf es einer Systematik bei der Informationssammlung. Es hat die Validierung der Daten zu erfolgen und es werden gegebenenfalls die richtigen Assessmentinstrumente ausgewählt und eingesetzt. Im nächsten Schritt erfolgt die Interpretation der Daten. Das heißt, das Assessment ist keine starre Routine, die zu einer bestimmten Zeit und nach festgelegtem Muster erfolgt, sondern vielmehr eine fortlaufende Aktivität, die auf die jeweiligen Umstände der gepflegten Person zugeschnitten wird. Unter anderem ist beim Anamnesegespräch die schriftliche Einwilligung in die Durchführung der Pflege maßgebend. Gerade wenn Pflegediagnosen gestellt werden, sind diese zu erörtern und über zu setzende Pflegeinterventionen bzw. Maßnahmen aufzuklären. Das heißt, die pflegerische Vorgehensweise ist rechtlich und fachlich mit dem (komplexen) ärztlichen Behandlungsprozess vergleichbar.

PFA und PA können einzelne – ihnen von der DGKP übertragenen Pflegemaßnahmen – eigenständig (PFA) oder mitwirkend (PA) durchführen. Die DGKP schätzt primär den Gesundheitszustand der zu pflegenden Person ein, stellt Pflegerisiken fest. Dann entscheidet sie, welche prophylaktischen Interventionen sie selbst durchführt, bzw. welche sie delegieren kann. Bei diesem Vorgehen ist zusätzlich einschlägiges medizinisches Fachwissen erforderlich, um Prävention und Prophylaxe zu planen und entsprechend durchführen zu können.

Die Gesamtverantwortung zur Pflegediagnostik und Planung der Maßnahmen obliegt alleine der DGKP. Sie wird in der Praxis (Teil)-Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Beobachtung von Vitalzeichen an die PFA bzw. PA delegieren. Eine Pflegediagnostik nur auf Basis der Beobachtungen von PA und PFA ist nicht durchführbar, da – wie schon erwähnt – der Pflegeempfänger aufzuklären, sowie die Einwilligung zu den Pflegeinterventionen bzw. Maßnahmen einzuholen ist.

Die Anwendung des Pflegeprozesses bedingt „erweiterte“ Kommunikationskompetenz

Kommunikationskompetenz und die Schaffung einer Beziehungsqualität ist die Basis pflegerischer Tätigkeit. Um akkurate Pflegediagnostik zu betreiben, sind theoriegeleitete Konzepte in der Gesprächsführung maßgebend. Primär ist das Interesse auf den Gesprächspartner hin orientiert, und dabei wird das „ehrliche“ Interesse an dessen Person verdeutlicht. Dieses Vorgehen erfordert im praktischen Lernprozess, persönliche Begleitung mit Coaching der Auszubildenden. In diesem Prozess wird auch das vernetzende Denken gefördert, um insbesondere bei komplexen Pflegesituationen bestehen zu können. Folglich sind sehr gute Sprachkenntnisse in Wort und Schrift Voraussetzung, um den Pflegeprozess für alle nachvollziehbar und fachlich auf hohem Niveau darstellen zu können.

Das Studium der Gesundheits- und Krankenpflege an einer Fachhochschule ermöglicht die Voraussetzungen die Herausforderungen der pflegerischen Arbeit zu beherrschen. In der Pflege ist die Theorie und Praxis zu verbinden – im Sinne „besonderen“ reflektierenden Denkens – im Lichte des wissenschaftlichen Handelns.

Alte und kranke Menschen verdienen eine hohe Qualität in der Durchführung von Pflegetätigkeiten!

Es wird davon ausgegangen, dass als gesellschaftliches Ziel besteht, hohe Pflegequalität primär durch den Einsatz von diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen zu garantieren. Das heißt, um dieses Ziel zu erreichen, muss in der Praxis gewährleistet sein, dass die Erstbegutachtung ausschließlich durch DGKP erfolgt und auch die Übernahme von komplexen Pflegemaßnahmen von DGKP entweder durchgeführt oder unter Fachaufsicht von PFA oder PA erfolgen. Regelmäßige Evaluierungen durch DGKP überprüfen die Notwendigkeit, die korrekte Durchführung und die Wirksamkeit der pflegerischen Interventionen bzw. Maßnahmen.

Bewusstseinsbildung ist notwendig, um zu verstehen, dass professionelle Pflege nicht bloß Grundpflege abdeckt!

Erfahrungsgemäß gibt es in Österreich in vielen Kreisen die Ansicht, dass Pflegehandlungen ausschließlich von PFA oder PA durchgeführt werden können. Manchmal geht man sogar so weit, zu meinen, 24-Stunden-Betreuerinnen mit keiner oder minimaler Ausbildung, Zivildiener und Heimhilfen können Pflege übernehmen. Hier wird dabei übersehen, dass sich Pflegetätigkeiten nicht nur auf die Befriedigung von Grundbedürfnissen (früher als Grundpflege bezeichnet) beschränkt, sondern die Pflegediagnostik die Voraussetzung für jegliches Tun – inklusive Grundpflege – ist.

Insbesondere bei der Pflege von kranken und alten Menschen wird sensibles, reflektiertes Vorgehen erwartet. Die Berichte über Vernachlässigungen, auch Gewalt, zeigen auf, dass viele Menschen diesen Anforderungen nicht gewachsen sind. Auch spielt das Machtungleichgewicht und gegenseitige Abhängigkeiten eine enorme Rolle, denn dies prägt und belastet die zwischenmenschliche Beziehung.

Das heißt, die Basis bei der Pflege ist das Eingehen auf ihre kulturelle Prägung, dies erfordert in der Regel das Beherrschen der Sprache.

In diesem Segment kann gesagt werden, dass einzelne Normen des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes von 1997 bei der qualitativen Umsetzung Verbesserungen benötigen. Oft fehlen die Vorgaben im Sinne des Pflegeprozesses. Dieses Vorgehen hat wenig mit professioneller Gesundheits- und Krankenpflege zu tun, sondern es ist als ritualisiertes Tun „Haben wir schon immer so gemacht“ einzustufen.


[1] Das  Wort  Therapie  kommt  ursprünglich  aus  dem  Griechischen  und  bedeutet  übersetzt „Heilung“  und  „Pflege“ (Pschyrembel, 2007)

[2] Der  Begriff  „therapeutisch“  bezeichnet laut „Pschyrembel online“ „die Behandlung  betreffend“. Sicher ist, dass Pflege auch die Behandlung betrifft und zur Genesung der Patientin beisteuert. Damit ist Pflege therapeutisch.

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